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Titel
Siam und Europa. Das Königreich Ayutthaya in westlichen Berichten 1500-1670


Autor(en)
Trakulhun, Sven
Reihe
The Formation of Europe - Historische Formationen Europas 2
Erschienen
Hannover-Laatzen 2006: Wehrhahn Verlag
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antje Flüchter, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms Universität Münster

Die außereuropäische und die europäische Geschichte wurden lange eher getrennt voneinander untersucht und ihre Ergebnisse kaum gegenseitig rezipiert, dies ändert sich langsam, nicht zuletzt vor dem Hintergrund immer lauterer Forderungen nach einer verwobenen Geschichte und der zunehmenden Bedeutung globalgeschichtlicher Ansätze. In diese Entwicklung fügt sich die im Jahr 2000 bei Günther Lottes an der Universität Potsdam eingereichte Dissertation von Sven Trakulhun ein.

Wie Trakulhun vermerkt, ist heute keine „theorieferne Unschuld“ (S. 9) hinsichtlich der westlichen Asienwahrnehmung und der Beurteilung der asiatischen Kulturen mehr möglich. Er erläutert das Problem des Fremdverstehens und der Aneignung des Fremden unter Einbezug der einschlägigen Theoretiker und widmet sich im Anschluss an die postkoloniale Kritik dem Problem, ob kulturelle Missverständnisse unvermeidlich oder ob derartige Fehlinterpretationen mit einer entsprechenden intellektuellen Anstrengung doch „therapierbar“ seien (S. 21). Er will nicht bei einer reinen Rezeptionsgeschichte stehen bleiben, sondern fragt am Beispiel der siamesisch-europäischen Beziehungsgeschichte nach den Möglichkeiten und Grenzen des Fremdverstehens. Den Lösungsweg, der in der Arbeit beschritten werden soll, besteht in einer Dynamisierung und damit Historisierung des Fremdverstehens, in dem er die Kulturbegegnung, wie sie „sich im kulturhistorischen Material zeigt, in den Mittelpunkt der Betrachtung“ (S. 24) rückt.

Sven Trakulhun untersucht die europäisch-siamesische Beziehungsgeschichte auf zwei verschiedenen Ebenen: Zum einen geht es um die tradierten europäischen Wissensbestände zu Siam als Basis des Fremdverstehens, zum anderen um die Darstellungen der Interaktion in vormodernen Reiseberichten. Beide Wissensbestände kontrastiert er mit Ergebnissen der Geschichtsforschung zu Asien und mit den europäisch-asiatischen Beziehungen. Anhand mehrerer Themenbeispiele beschreibt er den vielschichtigen Wandel der europäischen Thailandwahrnehmung: von der relativen Gleichheit des Entwicklungsstandes am Anfang der Frühen Neuzeit bis zu einem europäischen, auch zivilisatorisch verstandenen Überlegenheitsgefühl, das im 18. Jahrhundert einsetzte und sich dann durch die imperialistische Kolonialherrschaft auf dem asiatischen Festland noch verstärkte.

In einem ersten und zweiten Teil stellt Trakulhun ausführlich und kenntnisreich die europäischen Wissensbestände über Indien im Allgemeinen und zu Siam im Besonderen dar. Die Tradition basierte auf den Texten antiker Autoren, die in der Frühen Neuzeit rezipiert und mit den Informationen aus aktuellen Reiseberichten angereichert wurden. Dabei verschoben sich langsam und mit dem Fortschreiten der Europäischen Expansion das europäische Denken und seine Wissensordnung von der Tradition zur Empirie. Die Konzentration auf Siam ermöglicht es Trakulhun, die Asienliteratur der verschiedenen europäischen Länder sehr umfassend heranzuziehen. Während anfangs die Portugiesen die Berichterstattung beherrschten und kontrollierten, zirkulierten die Nachrichten spätestens seit dem 17. Jahrhundert freier, da die Niederländer, die die Portugiesen in ihrer Vormachtstellung abgelöst hatten, sich auf die Kontrolle der Märkte beschränkten. Hinzu kamen nun auch französische und englische Reiseberichte. Im 18. Jahrhundert hingegen, der eigentlichen Blütezeit der Reiseberichtsliteratur, wurden kaum neue Siamberichte verfasst, sondern die alten „mit dem kritischen Blick vernunftgeleiteter Fortschrittsgläubigkeit“ (S. 234) neu gelesen.

Da Thailand bisher in der deutschen Asienforschung eher eine Randexistenz geführt hat, können tiefergehende Kenntnisse über wichtige Strukturen und Ereignisse bei vielen Lesern nicht vorausgesetzt werden. Deshalb führt Trakulhun zunächst allgemein in die Verhältnisse in Siam und den anderen südostasiatischen Ländern ein und stellt die Interaktion mit den Europäern vor. So erfährt der Leser Einiges über das Tributsystem als Instrument chinesischer Außenpolitik, über buddhistisches Staatsdenken, den Aufbau des portugiesischen Estado da India und seine Übernahme durch die Niederländer. Nur letzteren gelang es, während des gesamten 17. und 18. Jahrhunderts im Königreich Ayutthaya präsent zu bleiben.

Nach diesen Hintergrundsinformationen lotet Trakulhun anhand ausgewählter Themen der europäischen Reiseberichte die Wahrnehmungen von Fremdheit, den Differenzdiskurs und die jeweiligen Akommodationsstrategien aus. Er beschreibt das unterschiedliche Geschichtsverständnis, die Wahrnehmung von Landschaft, den Mythos des Kannibalismus als Grenze der Zivilisation und den Krieg als besondere Form des Kulturtransfers. Trakulhun kontrastiert jeweils die europäische Wahrnehmung mit den Interaktionen und Erfahrungen der Europäer in Asien. Ausführlicher sollen an dieser Stelle seine Analysen der Themenfelder Religion, Frauen und orientalische Despotie betrachtet werden.

Trakulhun unterscheidet verschiedene Ansätze des religiösen Vergleichs. Die Portugiesen seien im Anschluss an die heimische Reconquista mit dem Anspruch, das Christentum zu verbreiten und den Islam zurückzudrängen, nach Asien gekommen. Dabei zog man auch die Möglichkeit in Betracht, mit buddhistischen oder hinduistischen Reichen Bündnisse zu schließen. Bis die Europäer allerdings den Buddhismus als eigene Religion erkannten, dauerte es recht lange. Dies entspricht auch der Vorstellung eines weltumgreifenden Heidentums, das die frühneuzeitlichen Reiseberichte prägte. Die Urteile fallen trotz des Labels Heidentum verschieden aus, neben heidnischer Abgötterei konnte der Buddhismus auch als unverfälschte Form des Christentums wahrgenommen werden. In beiden Fällen wurden die einheimischen Religionen zu der eigenen in Bezug gesetzt, um verstanden und in die eigene Kultur integriert zu werden. Die Beurteilung gerade des Buddhismus verschob sich mit der Ablösung der portugiesischen Vorherrschaft; so hätten sich die Niederländer weniger für die Religionen interessiert. In Asien erlebten die Europäer auch ein Ausmaß an religiöser Toleranz, das vor dem Hintergrund des konfessionell gespaltenen Europa ungewöhnlich erscheinen musste. Diese „Religionsfreiheit“ machte sie auch auf die Möglichkeit aufmerksam, die Beziehung zwischen Religion und Staat anders als mit der Formel ‚cuius regio eius religio’ zu konzipieren (S. 155).

Fremdheit konkretisiert sich oft in der Wahrnehmung von fremder Sexualität oder fremdartiger Geschlechterrollen. Beides trifft auch für Siam zu. Ein Kapitel trägt den Titel „Die Landkarte der Ausschweifung“: Das europäische Denken habe sich schon im 16. Jahrhundert die „Auffassung des Orients als ein Raum sexueller Permissivität, in den die eigenen unterdrückten Triebregungen und Ängste projiziert werden konnten“ zu eigen gemacht (S. 168). Die europäische Wahrnehmung einer zur exzessiven Lüsternheit gesteigerten weiblichen Sexualität kontrastiert Trakulhun damit, dass die siamesischen Frauen der Vormoderne deutlich größere Freiheiten gehabt hätten als die Europäerinnen, sowohl hinsichtlich der Partnerwahl als auch hinsichtlich ihrer Möglichkeiten in Handel und anderen Gewerbezweigen tätig zu sein. Dabei setzt Trakulhun die Wahrnehmung der Siamesinnen in Bezug zu europäischen Phänomenen: von den Hexenverbrennungen bis zur Verschiebung vom Ein- zum Zweigeschlechtermodell (Thomas Laqueur). Das Sittenbild Siams veränderte sich im 17. Jahrhundert, denn die Niederländer waren in ihren Berichten offenbar weniger wertend. Ebenso wichtig wie die Wahrnehmung der fremden Frauen waren die interethnischen Paarbeziehungen, sei es in Form einer Ehe oder auch eines Konkubinatsverhältnisses.

Bei seiner Behandlung der orientalischen Despotie stellt Trakulhun eine einen Bezug zur Gegenwart her, zu autoritären Regimes in Asien wie zu vermeintlich spezifisch asiatischen Traditionen, die nicht nur von Max Weber, Karl Marx oder Karl Wittvogel, sondern auch heute von asiatischen Intellektuellen beschworen wurden und werden. Nach einführenden Erläuterungen über die absolute Machtfülle der siamesischen Könige kommt Trakulhun wie vor ihm schon Jürgen Osterhammel zu dem Ergebnis, dass sich die Vorstellung des despotisch regierten Orients erst im 18. Jahrhundert und vor allem mit Montesquieu verfestigt habe. Trakulhun betont die doppelte Funktion des Despotiekonzepts für Europa: Es erlaubte sowohl die Abgrenzung von den asiatischen Herrschaftsformen, zeigte aber auch die Gefahr auf der politischen Degeneration in Europa auf.

Das Buch von Sven Trakulhun besticht auf viele Weise: Er schließt eine Lücke des heutigen Wissen über das vormoderne Thailand, er beschreibt kenntnisreich und differenziert die europäische Wahrnehmung, die europäisch-asiatischen Interaktionen und auch das oft vernachlässigte innerasiatische Netzwerk. Manchmal hätte sich die Leserin eine genauere Charakterisierung der europäischen Quellen und vor allem ihrer Verankerung in der europäischen Geschichte gewünscht. Das vorliegende Buch beweist jedenfalls, dass für solch ein Thema nicht nur gute Kenntnisse der europäischen Ideengeschichte notwendig sind, sondern darüber hinaus auch eine verstärkte Einbeziehung der europäischen Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Entsprechende Ergebnisse bezieht Trakulhun bei den Geschlechterrollen, Königtum und Herrschaft und auf anderen Gebieten ein, und dieser Weg sollte fortgesetzt werden.

Trakulhun schließt mit der Forderung, nicht bei einer reinen Rezeptionsgeschichte stehen zu bleiben, die Asien wieder aus der europäischen Geschichte verdrängen würde, sondern eine komparatistisch angelegte, interkulturelle Beziehungsgeschichte weiter voranzutreiben. Die Geschichte Asiens bestehe selbstverständlich nicht nur aus den Europäern in Asien, doch seien beide Kulturkreise, der asiatische und der europäische, spätestens seit dem 15. Jahrhundert miteinander verflochten: „Es macht also keinen Sinn mehr, getrennt zu behandeln, was geschichtlich zusammengehört.“ (S. 244) Das vorliegende Buch zeigt die Probleme solch einer Verflechtungsanalyse von Kulturkreisen wie auch jene der Erfahrungs- und Rezeptionsgeschichte – und die Notwendigkeit, sich ihnen zu stellen.

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